Die Ägäische Bronzezeit mit ihren monumentalen Palästen wie Knossos auf Kreta diente nicht nur den Epen Homers als Inspiration, sondern wirkt mit einigen kulturellen Errungenschaften wie einer ersten entschlüsselten Schriftform nach, die bis heute beeindrucken. Doch die 3800 Jahre alte höfische Hochkultur der Ägäis bleibt rätselhaft – besonders hinsichtlich ihres Untergangs.

Was für Volksgruppen es tatsächlich waren, die sich um die bronzezeitlichen Palastzentren auf der Halbinsel Peloponnes, dem griechischen Festland und besonders auf Kreta sowie weiteren Inseln der Ägäis ansiedelten, konnte bislang nicht zweifelsfrei geklärt werden. Die meisten Forschungsergebnisse über die Entstehung der mykenisch-minoischen Palastkulturen gehen von einer Vermischung orientalischer und ost-mediterraner Völkergruppen aus, die sich als Zweckbündnis politischer, militärischer und ökonomischer Interessen vor etwa 5000 Jahren entwickelten. Und dabei allmählich einen Grad an zivilisatorischer Entwicklung geprägt von Arbeitsteilung erreichten, die lange unerreicht blieb.
Archäologische Befunde: Qualität statt Quantität
Tausend Jahre später entstanden erste minoische Paläste mit einem zusammenhängenden Baukanon von Plätzen und Prozessionsstraßen, Bädern, Festsälen und sakralen Kulträumen. Vielleicht die bekannteste archäologische Stätte der späten Ägäischen Bronzezeit ist Mykene mit ihrem monumentalen Burgberg und den Schachtgräbern, in denen Heinrich Schliemann aufsehenerregende Edelmetallfunde machte, darunter die goldene "Maske des Agamemnon". Kulturhistorisch ebenso interessant wie die kyklopischen Mauern, deren polygonal angeordnete Kalksteinquader bis zu 20 Tonnen wogen, waren die zufällig konservierten Linear-B-Täfelchen: Zufällig durch Brände der Paläste gehärtete Tonblätter, in die Schriftzeichen graviert waren. Die Täfelchen waren nicht für die Ewigkeit gedacht und enthielten Inventarlisten, Personenverzeichnisse, Abrechnungen, Sakralopfer-Aufstellungen usw. – und damit nicht nur einfach die Buchhaltung der sogenannten Paläste, die sowohl als Handels- und Handwerks-Zentren, aber auch als kulturelle, militärische und religiöse Stätten dienten.
Verschlüsselter Kulturspiegel Mykenes
Das frühe "Beamtenmykenisch" der Linear-B-Tafeln wurde 1952 von einem englischen Architekten entschlüsselt, der zurecht Elemente des späteren Griechisch der klassischen Zeit zu erkennen glaubte. Zwar sind nach wie vor noch nicht alle Zeichen identifiziert und wegen der verkürzten Endungen nicht ohne weiteres verständlich, doch finden sich in den Aufstellungen durchaus Vorformen alter olympischer Bekannter: Zeus, Poseidon, Demeter. Sowohl Opfergaben für die Götter wie auch anlässlich bedeutender politischer Initiationsriten wie Krönungen finden sich bis in die Zeit der klassischen Demokratien wieder. Und auf Artefakten aus der Bronzezeit wie bemalten Amphoren und Reliefs finden sich Ausrüstungsgegenstände, die dem aufmerksamen Leser der homerischen Epen, ihrerseits vermutlich aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. stammend, bekannt sein sollten: Eberzahn-Helme, Dipylon-Schilde, stattliche Trinkkrüge und goldene Opfergefäße.

Ikonische Wandmalereien im Palast von Knossos auf Kreta, Vorbild für unzählige Hoteldakorationen und Keramik ©bigfoot/pixabay
Ende mit Schrecken der Palastkultur?
Ebenso ungesichert und vielfältig wie Herkunft und Entstehung der bronzezeitlichen Palastkulturen scheint der Untergang der Kulturzentren des Festlandes und der ägäischen Inseln vonstatten gegangen zu sein. Die schriftlichen Zeugnisse in Linear-B sind zwar eine der erste Formen des Schriftgebrauchs im europäischen Raum, beschränken sich aber auf Listen und Aufstellungen, die nur indirekt auf Leben und Kultur ihrer Schreiber deuten. Doch besonders der plötztliche Untergang der einst blühenden Palaststrukturen hat den Altertumswissenschaften Rätsel aufgegeben – wurde er doch keineswegs so plötzlich konserviert und umsichtig dokumentiert wie etwa der Untergang Pompejis durch Plinius minor.
Um 1200 v. Chr. wurden viele der Wehrbauten und Paläste zerstört, andere verbrannt, wobei einfache Siedlungen, etwa auf der Peloponnes, lediglich verlassen wurden. Der rege Austausch über weitreichende Handelsbeziehungen im gesamten Mittelmeerraum kam vollständig zum Erliegen. Ägyptische Aufzeichnungen berichten von lybischen Volksgruppen, die mit Ochsenkarren samt ihrem ganzen Hausstand in den Krieg zogen. Das kann wohl vermutlich als ein Hinweis auf gewaltsame Migration gewertet werden. Doch damit erschöpfen sich die Theorien zum Untergang der mykenisch-minoischen Kultur noch nicht.
Wie so oft: Mehrgründiger Niedergang einer Hochkultur
- Aus syrischen Quellen nährt sich die Vermutung, dass feindliche Horden obskurer Seefahrer-Völker das östliche Mittelmeer unsicher machten. Allerdings sind Plünderungen, jedoch keinerlei Ansiedlungen dieser frühen Piraten bekannt.
- Im Wechsel von der ausgehenden Bronzezeit zur Eisenzeit mögliche Konfrontation mit siedlungshungrigen Invasoren verschiedener Volksstämme, die härtere Metalle nutzen konnten und so kriegstechnisch überlegen gewesen sein könnten. Auch das Söldnertum, wie es etwa in Form anatolischer Soldaten belegt und auch aus der Troja-Sage bekannt ist, könnte den mykenisch-minoischen Auftraggebern zum Verhängnis geworden sein. Dazu würde die punktuelle Zerstörung der Paläste als Machtsymbol passen.
- Naturkatastrophen: Um 1600 v. Chr. ist die Eruption des Vulkans auf Thera (Santorin) bezeugt, die mehrere bronzezeitliche Städte auf den Inseln bis Kreta zerstörte. Allerdings unwahrscheinlich, dass ein solches Ereignis allen Palästen ein so plötzliches Ende machte. Nur eine Verkettung von Vulkanismus, Erdbeben, Fluten und Hungersnöten käme dafür in Betracht.
- Zusammenbruch des Systems aus politischer Führung einer kleinen Oberschicht, fragiler (Handels-)Beziehungen zwischen den Zentren und der Versorgung städtischer Strukturen mit Lebensmitteln aus dem bäuerlichen Umland.
Da die Palastkultur der frühgriechischen Bronzezeit schon Merkmale einer recht stabilen Verfassung mit ausgeprägtem Kunsthandwerk, reicher Opfertätigkeit, Verwaltung mit bürokratischen Zügen und intstitutionalisierter Arbeitsteilung (ländliche Lebensmittelproduktion, städtische Handwerkskunst) aufwies, ist bis zum Gegenbeweis anzunehmen, dass letztlich eine Mischung der genannten Faktoren zur Zerstörung der monumentalen Palastbauten und zum Ende der ersten südeuropäischen Hochkultur führte.
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